Endorsement

„Wir unterschätzen, wie stark wir sind“

Der Psychiater Christian Schwegler über Wege aus Krisen und Überlastung

11. Dezember 2025

Am Ende eines für viele Menschen arbeitsreichen, oft von Krisen und tiefgreifenden Veränderungen geprägten Arbeitsjahres gilt es, neue Kräfte zu sammeln und sich für die kommenden Herausforderungen zu wappnen. Aber was genau hält uns innerlich aufrecht? Wie können Führungskräfte ihr Team nachhaltig unterstützen? Im Gespräch mit NWX Redakteurin Anita Kölbl beschreibt der Hamburger Psychiater Dr. Christian Schwegler* die inneren Mechanismen und Strategien, die dabei helfen, mentale Stärke zu entwickeln und andere Menschen klug durch schwierige Zeiten zu führen.

NWX Magazin: Herr Dr. Schwegler, Sie arbeiten dort, wo Menschen an Grenzen stoßen: Sie behandeln, lehren und prägen therapeutische Praxis. Was macht Ihre Arbeit im Kern aus?

Dr. Christian Schwegler: Im Kern unserer Arbeit am Milton-Erickson-Institut geht es darum, Menschen darin zu unterstützen, wieder Zugang zu ihren eigenen Ressourcen zu finden - bei Patientinnen ebenso wie bei denen, die sie begleiten.

Der Begriff mentale Stärke begegnet uns inzwischen überall, in Vorstandsetagen, im Leistungssport und in der Psychologie. Was bedeutet er für Sie?

Schwegler: Ich stelle mir vor, was wir als Menschen ertragen und verarbeiten können, sei ein Gefäß. Der Name dieses Gefäßes ist Resilienz. Resilienz bezeichnet die Grenze, an der Belastung in Überforderung umschlägt. Viele Patientinnen und Patienten, die zu uns kommen, haben dieses Gefäß bereits bis zum Rand gefüllt: zu viel Stress, zu viele Belastungen aus Kindheit, Beruf oder Beziehung.
 

Die Folgen reichen von körperlichen Beschwerden wie Bluthochdruck, Schmerzen oder Migräne bis zu psychischen Erkrankungen wie Angst, Depression, Zwang oder Sucht. Mentale Stärke bedeutet dann, Rückschläge zu verkraften, resilient zu bleiben und Mechanismen zu entwickeln, die Stress regulieren. Und sie zeigt sich darin, Leistung abrufen zu können, wenn es darauf ankommt.

Wer an Gelingen glaubt, schafft Voraussetzungen dafür

Führungskräfte stehen oft unter großem Druck. Was zeichnet diejenigen aus, die langfristig stabil bleiben?

Schwegler: Eine entscheidende Rolle spielt die innere Haltung. Es macht einen Unterschied, ob ich das Glas halb voll oder halb leer wahrnehme. Ich kann mich auf Defizite fixieren und diejenigen, die ich dafür verantwortlich mache, einschließlich mir selbst, abwerten. Oder ich richte den Blick auf das, was gelingt, stärke die Menschen dahinter und frage: Wie füllen wir das Glas weiter?

Der Henry Ford zugeschriebene Satz „Ganz gleich, ob du glaubst, du schaffst es oder du glaubst, du schaffst es nicht – du wirst meistens recht behalten“ bringt gut auf den Punkt, wie stark Überzeugungen unsere Realität formen.

Genauso entscheidend ist die Art der Führung. Eine Führungskraft, die in der Krise mit hängenden Schultern durch die Flure geht, erzeugt Lähmung. Wer dagegen offen sagt „Es ist schwierig, aber jetzt kommt es auf uns an. Ich will dieses Schiff wieder auf Kurs bringen. Wer unterstützt mich?“ erzeugt Verantwortung und Verbundenheit. Und schließlich gehört zur mentalen Stärke die Bereitschaft, Unterstützung anzunehmen. Externe Begleitung einzubeziehen ist kein Zeichen von Schwäche, sondern Ausdruck von Professionalität.

Erfolg braucht Ausdauer, nicht Sprintgeschwindigkeit

Wenn Haltung so prägend ist, fällt umso stärker ins Auge, wie oft sie im Laufe der Zeit bröckelt. Menschen starten mit Schwung und Idealismus und Monate später überwiegen Müdigkeit und Zweifel. Was lässt diesen Antrieb so oft verpuffen?

Schwegler: Weil sie ihr Leben wie eine Abfolge von Sprints betrachten. Die Haltung lautet: „Nur noch diese Phase, dann wird es ruhiger.“ Doch dieser Moment kommt oft nicht. Das Leben ist ein Marathon. Wer dauerhaft bei voller Geschwindigkeit läuft, bricht irgendwann zusammen, meist genau dann, wenn der nächste Karriereschritt in Sicht ist. Die Karotte hängt immer einen Schritt weiter vorne. 

Gesünder ist es, bewusst mit achtzig oder neunzig Prozent zu laufen. Man erreicht fast genauso viel, hält aber länger durch. Wer langfristig führen will, muss mitdenken, wo die Kraft in fünf oder zehn Jahren herkommen soll.

Viele Organisationen erleben derzeit Unsicherheit, Tempo und Druck. Wie führt man ein Team durch solche Phasen, ohne Menschen zu verlieren?

Schwegler: Führung beginnt mit echter Wertschätzung. Dazu gehört, die Rollen im Team zu verstehen. Zum Beispiel gibt es in Teams häufig jemanden, der immer einspringt, wenn andere ausfallen, den sogenannten ‚Retter‘. Auf den ersten Blick wirkt er wie ein Geschenk, ein High Performer, schnell, verlässlich und stabilisierend.

Eben weil er so leistungsstark wirkt, wird sein Bedarf an Schutz unterschätzt. Er übernimmt zu viel, verhindert unfreiwillig die Entwicklung anderer und ist gefährdet, auszubrennen. Wenn er ausfällt, wankt häufig das gesamte Gefüge. Gute Führung bedeutet daher, diesen Menschen bewusst zu begleiten: Leistungen anerkennen, Verantwortung für die Entwicklung anderer übertragen und Grenzen setzen. Nicht weil er schwach ist, sondern weil er zu wichtig ist, um ihn zu verlieren.

Interview: Alina Kölbl

*Zur Person: Dr. Christian Schwegler ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Allgemeinmediziner und zudem in Traditioneller Chinesischer Medizin ausgebildet. Gemeinsam mit Ortwin Meiss leitet er das Hamburger Milton-Erickson-Institut. Dort werden Ärztinnen und Ärzte, Coaches, Psychologinnen, Psychotherapeuten sowie Pädagoginnen und Pädagogen in Hypnotherapie und hypnosystemischer Kommunikation unterrichtet. 

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